Solbrigplatz

Der Solbrigplatz und sein Umfeld ist durch ein geometrisches Straßenraster mit geschlossener Bebauung geprägt. Der Platz selbst wurde ursprünglich als repräsentativer begrünter Stadtplatz in einer verdichteten baulichen Umgebung angelegt.   Später wurde zugunsten des ruhenden Verkehrs die Mittelinsel verkleinert, so dass lediglich ein schmaler, unattraktiver Platz mit einigen Bäumen und Sträuchern verblieb. Der Zustand und das Erscheinungsbild des Platzes waren daher im Wesentlichen durch die Nutzung als Verkehrsfläche für den fließenden und ruhenden Verkehr geprägt.  

Am 4. März 2019 fasste der Stadtrat den Beschluss zur Neugestaltung des Solbrigplatzes.
Aus drei Varianten wurde die „Grüne Welle“ für die Umsetzung ausgewählt. Sie ist charakterisiert durch einen großen Querplatz auf der Nordseite des Platzes und einen etwas kleineren in der Mitte sowie eine Baumanordnung, die durch seitlich wechselnde Platzierung eine Baumdach-“Welle“ erzeugt. Diese bringt optisch Bewegung in den streng geometrischen Platzraum und lässt aus der Platz-Perspektive das Baumdach breiter wirken.
Besonderes Augenmerk wurde außerdem auf die barrierefreie Gestaltung des Platzes gelegt.  

Baubeginn war im März 2019, Fertigstellung im November 2020.

Mit der Neugestaltung fand die Plastik "Jahrhundertschritt" von Wolfgang Mattheuer seinen Standort auf dem Solbrigplatz.

Der Ehrenbürger Wolfgang Mattheuer schuf die Plastik „Jahrhundertschritt“ 1984 in seiner Reichenbacher Heimat. (Bild 1)
Vom Gipsmodell wurden sechs Abgüsse erstellt.
Diese stehen heute an prominenten Standorten in Berlin, Bonn, Oberhausen, Halle und Leipzig. Unterstützt durch Spenden und Förderungen gelang es der Stadt Reichenbach 2019, das letzte erhältliche Exemplar zu erwerben. Seit November 2020 steht es auf dem Solbrigplatz.  

Als er die [bemalte] Gipsfigur 1985 in Leipzig für die Bezirkskunstausstellung einreichte und sie wider erwarten ausgestellt wurde, geriet das zu einer kleinen Sensation.
Angriffe blieben naturgemäß nicht aus.
Die Kopplung symbolischer Gesten, die bisher meist als Ausdruck gegensätzlicher Haltungen begriffen und interpretiert wurden, der zum „Hitlergruß“ gestreckte Arm, die geballte Faust, das militärisch gekleidete, gestiefelte linke, das weitausschreitende nackte weiße rechte Bein, die verkrüppelte, zerrissene Brust mit dem einäugigen, geduckten Kopf – das alles irritierte.
Es war fast selbstverständlich, daß die beiden Symbolgesten der Arme und Hände von den meisten Betrachtern politisch-ideologisch interpretiert wurden.
Mattheuer meint sie mehrdeutig. Der [erhobene] schwarze Arm zeigt auch Hilflosigkeit an, einen Hilfeschrei, die geballte Faust spielt nicht nur auf die Kampfgeste der Arbeiterbewegung an, sie ist vielmehr allgemeines Zeichen der Wut, des Zornes, des Widerstandes, der Auflehnung.
Die Zustimmung des Kunstpublikums zu Mattheuers Plastik überwog alle Irritationen. Sie wurde angenommen als Zeichen der Zeit.  

Auszug aus: Ursula Mattheuer-Neustädt, „Bilder als Botschaft. Die Botschaft der Bilder“, 1997 (S. 126–128)    

Wie bei vielen seiner Werkgruppen, kreiste Mattheuer sein Themenfeld auch diesmal mit Zeichnungen, Holzschnitten und Gemälden so lange ein, bis er die für ihn gültige Form gefunden hatte.
Seit Anfang der 1970er-Jahre auch plastisch arbeitend, drängte die künstlerische Auseinandersetzung mit seinem Jahrhundert Mattheuer immer nachdrücklicher zu einer dreidimensionalen, figürlichen Form. Dieser „Alptraum“, diese „Aggression“ (Bild 2) des 20. Jahrhunderts - so die Titel weiterer Bilder zum Themenkreis aus den Jahren 1981/82 - konnte für ihn in seiner ganzen Widersprüchlichkeit am besten in einer Plastik gefasst werden.
Denn, so führte er später dazu aus: „Die Figur ist nicht eindeutig, wie unser Jahrhundert nicht eindeutig war. Es war zerrissen.“ (Mattheuer, 2003) Diese Zerrissenheit reflektierte er als künstlerischer Chronist seiner Zeit schon früh in seinem Werk, auch weil er sie selbst immer wieder am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte - sei es als soldatisches Aufgebot der letzten Stunde im Zweiten Weltkrieg oder als unbotmäßiges Mitglied der SED, das „mit aller Vernunft und selbstkritischem Zweifel eines geborenen Proletariers“ (Mattheuer, 1990) immer wieder an die Grenzen des DDR-Systems stieß und sich daran wund rieb.
Der „Jahrhundertschritt“ ist nicht nur die bedeutendste Plastik des im Frühjahr 2004 verstorbenen Künstlers; sie ist zugleich eines der wichtigsten Werke der bildenden Kunst aus der DDR insgesamt.
Im Unterschied zu vielen anderen […], wirkt sie heute noch täglich fort.
Sie steht nach wie vor auf dem Hof der Galerie Moritzburg in Halle, aber auch mitten in Berlin vor dem Gebäude der früheren GrundkreditBank in der Nähe des Zoologischen Gartens. Schließlich ist sie zu einem Wahrzeichen der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland geworden. In Bonn wie in Leipzig flankiert sie den Eingang der beiden Ausstellungshäuser der Stiftung - als eine beständige Aufforderung an die Besucher, sich an dem zerrissenen 20. Jahrhundert weiter zu reiben und aus seiner Geschichte zu lernen.  
Auszug aus: Bernd Lindner, Das zerrissene Jahrhundert. Zur Werk- und Wirkungsgeschichte von Wolfgang Mattheuers Plastik „Jahrhundertschritt“, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 2 (2005), H. 2, S. 300-308.